Sportstudie
Thema und Vorarbeiten
Der Beginn der Krankengeschichte ist manchmal unspektakulär, als Zufallsbefund, mit unbedeutenden Kopf-schmerzen, nebenbei bemerktem Taubheitsgefühl oder aber auch dramatisch, z. B. mit einem ersten epi-leptischen Anfall. Etwa 7.500 Menschen erkranken jährlich in Deutschland an einem bösartigen hirneigenen Tumor. Damit machen Hirntumorpatienten zwar „nur“ ca. 1,4 % der knapp 500.000 Tumorneuerkrankungen pro Jahr aus, aber ca. 2,6 % der Sterbefälle (RKI, 2017). Und trotz Operation, Strahlen- und Chemotherapie liegt das mittlere Überleben auch heute noch beim häufigsten und bösartigsten Hirntumor, dem Glioblastom WHO Grad IV, bei nur ca.14 Monaten. Anders ausgedrückt erkrankten im Jahr 2014 genau 3.725 Männer an einem Hirntumor (Abb. 1). Im gleichen Jahr starben 3.300 Männer an einem solchen; bei den Frauen ist die Bilanz mit 2.828 Neuerkrankungen und 2.701 Todesfällen noch bitterer. Dass diese Menschen durch Diagnose, Therapie und den Tumor mehr belastet sind als andere Krebspatienten und in bis zu zwei Dritteln der Fälle Angststörungen und Depressionen entwickeln, ist gut nachvollziehbar (Abb. 1: Oncopedia Rapp et al, 2018).
Diesen Patienten, deren Leben plötzlich auf den Kopf gestellt ist und häufig neben Selbstzweifeln auch Ängste vor zunehmenden kognitiven und körperlichen Verlusten herrschen, möchten wir die Chance geben, durch ein individuelles Trainingsprogramm vorhandene Einschränkungen zu verbessern, Funktionen zu erhalten und auch wieder neuen Lebensmut zu spüren. Seit 2010 wird am Hirntumorzentrum des Uniklinikums Münster (UKM) ein psychoonkologisches Gesprächsangebot von Fr. PD Dr. Dorothee Wiewrodt angeboten. Finanziert durch Spenden über den Förderverein Zentrales-Nervensystem e.V. (http://www.foerderverein-zns.de) konnte im Jahr 2011 ein persönliches Trainingsprogramm dazu genommen werden. Seitdem hat Ralf Brandt, Sport-wissenschaftler und Diplom Trainer, zahlreiche dieser schwerkranken Patienten in mehr als 4.100 persönlichen Trainingsstunden individuell trainiert (Abb. 2) und damit in Deutschland die meisten Erfahrungen im Training mit Hirntumorpatienten.
Die Fallbeschreibung eines Patienten, der trotz seines Glioblastoms und unter Therapie Marathon gelaufen ist, konnten wir kürzlich publizieren: High-Intensty Physical Exercise in a Glioblasoma Patient under Multimodal Treatment. (Sports & Scince in Sport & Exercise) In einer weiteren Pilotstudie konnten wir Durchführbarkeit und Effekte eines einwöchigen Trainings durch den Skisport belegen: Feasibility, Safety and Effects of a One-Week, Ski-Based Exercise Intervention in Brain Tumor Patients and Their Relatives: A Pilot Study (Journal of Clinical Medicine)
Obwohl das Thema „Sport und Krebs“ erfreulicherweise in den letzten Jahren mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist, gibt es bis heute kaum Daten zu Hirntumorpatienten. In den wenigen Studien liegen allenfalls kleine Fallzahlen vor, es werden die gutartigen Hirntumorpatienten untersucht und als Trainingsintensität werden nur die Selbsteinschätzung, aber keine objektivierbaren Daten genannt. So lautet für Hirntumorpatienten im aktuellen „Blauen Ratgeber“ der Dt. Krebshilfe und Dt. Krebsgesellschaft „Bewegung und Sport bei Krebs“ [07/2017] die Empfehlung bis heute: „Betroffene mit Gehirntumoren brauchen nach dem Krankenhausaufenthalt eine langfristige neurologische Rehabilitation. Sprechen Sie mit dem Arzt, ob er damit einverstanden ist, dass Sie auch alleine Sport treiben. Denn bei anstrengender körperlicher Belastung besteht die Gefahr von neuro-logischen Ausfällen bis hin zur plötzlichen Bewusstlosigkeit.“ Spätestens jetzt verlieren auch die letzten Hirn-tumorpatienten den Mut, Sport zu treiben. Wir möchten das ändern!
Fragestellung, Zielsetzung und Studiendesign
In dieser Studie soll ein intensives Sportprogramm (75% – Grenze der maximalen altersadaptierten Herz-frequenz) mit den persönlichen Trainern Ralf Brandt und Hannah Igelbrink 2 x wöchentlich für 4 Monate durchgeführt werden. Unser primäres Prüfziel ist nach Operation und Bestrahlung unter laufender Chemotherapie eine körperliche Leistungssteigerung von mindestens 15 % zu erreichen. Während des gesamten Studienzeitraums werden Patienten Activity Tracker (Polar M 430) tragen und 4 Mal mittels Spiroergometrie untersucht werden, um einerseits die Trainingseinheiten quantifizieren zu können und andererseits die Leistungssteigerung zu messen. Zu den sekundären Prüfzielen gehören Lebensqualität und Lebenszufriedenheit. Deshalb gehört auch die 4-wöchentliche Beantwortung von Fragebögen einschließlich der Parameter Angst, Depression, Belastung und Fatigue dazu. Insgesamt werden wir die Patienten über 6 Monate beobachten.
Eigenleistung und Kosten
Diese Studie ist eine nicht kommerzielle klinische Prüfung (IIT = Investigator Initiated Trial), weshalb wir auf Sponsoren angewiesen sind. Die Studie wird an 3 Universitätskliniken in Deutschland (Münster, Homburg, Bochum) durchgeführt, um allgemein gültigere Daten zu erhalten. Die Trainer in Homburg/Saar und Bochum werden entsprechend von Ralf Brandt in Münster an einem Wochenende geschult und erhalten bei erfolgreichem Abschluss ein Zertifikat. Um die Gesamtkosten der Studie in Höhe von ca. 160.000 € für Münster als Initiatoren und Principle Investigator zu senken und auf mehreren Schultern zu verteilen, konnten wir mit den Verantwortlichen der anderen beiden Studienzentren vereinbaren, dass jeder für seine Kosten vor Ort selber Sponsoren sucht.